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Interview von Johannes Hucke mit Walter Münzenberger, Geschäftsleitung der ÖFG bis 30. Juni 2022

Wenn Du die Situationen vergleichst: damals, als Du bei der Fördergemeinschaft angefangen hast und heute, da Du die ÖFG verlässt – was hat sich geändert?

  1. bezogen auf die Stimmung in der Gesellschaft
  2. bezogen auf Ludwigshafen
  3. bezogen auf „Deine“ Organisation

 

ich habe schon den Eindruck, dass bis vor dem Ukraine-Krieg die „Stimmung“ immer egoistischer geworden ist, sehr ichbezogen. Seit dem Kriegsbeginn hat sich etwas verändert: Es gibt eine Welle der Solidarität mit dem Geflüchteten. 2015 gab es auch viele Hilfsangebote, aber das war nicht so umfassend, nicht so stark. Das muss aber nicht heißen, dass es so bleibt. – Der Einfluss und die Bedeutung der Kirchen haben sich geändert. Sie sind immer noch wichtige Partner für die Stadtgesellschaft, werden als wichtig wahrgenommen, auch wenn die Kirchenmitglieder immer weniger werden. Verändert hat sich auch, dass die prot. Kirchengemeinden heute in Kooperationsregionen und die katholischen Kirchengemeinden in Großgemeinden organisiert sind. Für die ÖFG sind die Kirchengemeinden in West und Mundenheim immer noch wichtige Kooperationspartner.
Als ich angefangen habe, gab es eine absolute Mehrheit der SPD; mal gab es eine Koalition mit den Grünen, mal eine große Koalition … Der Wandel ist politisch gesehen schon enorm. Auch beim Stadtbild hat sich einiges getan, siehe Rheinufer oder Rathausabriss. Allerdings hat sich durch die Bebauung der letzten Jahrzehnte die Wohnungsnot nicht verringert; für die ÖFG stellt sich das als zusätzlich problematisch dar, weil unsere Leute an der unteren Sprosse der Leiter stehen. In dem Zusammenhang ist auch zu sehen, dass wir das „Aktionsbündnis Wohnen“ mitgegründet haben und dort Mitglied sind. – Bei der ÖFG sind die Veränderungen ja offensichtlich. Vor 31 Jahren waren wir ein kleiner familiärer Betrieb, vor allem bezogen auf die Bayreuther Straße und das JUZ Mundenheim. Wir waren gerade einmal 30 Leute! Es kamen neue Bereiche wie die Erziehungshilfe, zwei Kindergärten dazu, neue Gebäude, Erweiterungen in jeder Hinsicht. Nach wie vor sind wir ein wichtiger Kooperationspartner für die Stadt hinsichtlich Jugendhilfe und -förderung.

Was waren die entscheidenden Faktoren, damit eine ökumenische Initiative derart wachsen und sich stabilisieren konnte?

Wir haben unsere Arbeit immer an den Bedarfen ausgerichtet und dies auch immer in enger Abstimmung mit den Fachbereichen der Stadt Ludwigshafen. So entstand z.B. 1996 gemeinsam mit der prot. Christus‐Kirchengemeinde, den Falken (Jugendtreff in Mundenheim) und dem Sozialen Dienst der Stadt das Projekt der „außerschulische Förderung in Mundenheim“, das „Mundenheimer Modell“. Dies war der Beginn der sozialpädagogischen Gruppenarbeit, der Einstieg in die ambulanten Erziehungshilfen. Die gute Qualität in unserer Arbeit und die enge Abstimmung mit der Stadt begründeten auch das Engagement der ÖFG an den Schulen. Die Sozialpädagogische Gruppenarbeit an Schulen ist ein gefragtes Angebot der ÖFG.
Als ein Gebäude für den Emmi-Knauber-Hort von der Stadt gebaut wurde und der Umzug aus den Wohnblöcken erfolgte, war die ein Quantensprung für die Arbeit in den Kindertagesstätten der ÖFG. – wie auch beim Neubau des Kindergartens. Dass die KTS Hartmannstraße und Wattstraße dazukamen, zeigt auch die Verlässlichkeit der ÖFG als Träger von Kindertagesstätten und Partner der Stadt Ludwigshafen. Auf diese Weise erfolgte auch eine Stärkung der Gemeinwesenarbeit. Von Bedeutung ist auch immer wieder das erfolgreiche Akquirieren von Spenden, etwa bei Aktion Mensch, der Fernsehlotterie, bei Herzenssache … Da steht natürlich auch der STREET DOC immer wieder im Mittelpunkt in punkto Öffentlichkeitswirksamkeit. Die Fernsehprojekte tun da ihr Übriges.

Hast Du ein paar Tipps für Deine Nachfolgerin sowie für alle, die (noch) bei der ÖFG arbeiten? Worauf sollten wir unser Hauptaugenmerk legen?

Ich gebe meiner Nachfolgerin keine Tipps. Sie wird erspüren, wo noch Knackpunkte sind; ich würde nämlich niemals sagen, es gäbe kein Veränderungspotential. Es gilt für alle in der ÖFG: Wir müssen das Besondere im Auge behalten, den „spirit“, wie Frau Kindsvater das nennt, erhalten. Man sieht ja schon an den Dienstzeiten, wie gern die Leute bei der ÖFG arbeiten. Wir müssen eben weitergehen, nicht stagnieren … und den Blick auf die Notwohngebiete nicht verlieren, in der Hoffnung, dass sie doch noch verschwinden. – Ein Wachstum für die ÖFG muss nicht zwangsläufig sein, aber da wo das sinnvoll ist – warum nicht? Es gibt immer wieder Möglichkeiten zu agieren; auch wenn unsere finanziellen Möglichkeiten begrenzt sind.

Eine Caritaschefin aus Hessen hat es einmal ungefähr so formuliert: Wenn ein „Sozialer Brennpunkt“ länger als dreißig Jahre existiert, hat nicht mehr die Politik den schwarzen Peter, sondern die Sozialarbeit hat etwas falsch gemacht. Wenn das stimmt: Was war oder ist unser Fehler?

Ich weiß schon, was der Satz aussagen soll … Es ist die traditionelle GWA-Perspektive: Die Menschen befähigen, für ihre Interessen selbst einzutreten. Der Druck, den die Menschen am Rande der Gesellschaft ausüben können, ist aber begrenzt. Da ist selbstverständlich die Politik gefragt – die Soziale Arbeit hat da nichts falsch gemacht. Wir wissen sowieso: Wenn es optimal läuft, braucht man uns nicht. Ein Schwerpunkt muss auf Aktivierung liegen. Ebenso dürfen wir nicht verkennen, dass es um circa 1450 Eingewiesene ging, als ich angefangen habe – heute sind es gut 1000 weniger. Heute werden mehr Einzelpersonen eingewiesen, die eine andere Betreuung brauchen.
Der Satz stimmt so nicht. Die Politik hat hier die Kompetenzen und die Aufgabe, das muss geklärt sein.

Deine Arbeit war sicher nicht immer nur motivierend, sondern auch wahnsinnig anstrengend. Was hat Dir die Kraft gegeben, trotzdem durchzuhalten und – mehr noch – immer wieder Neues aufzubauen und die Ziele nicht aus den Augen zu verlieren?

Das ist doch in jeder Arbeit so: Ich konnte gestalten, das gab mir Kraft. Die Entwicklung in den Jahren war auch enorm. Vor der gGmbH war die Struktur der „Fördergemeinschaft für Soziale Brennpunkte“ eher mit einem Verein vergleichbar. Es war nie so ganz klar, wer wofür zuständig sein sollte, Entscheidungen wurden im Dialog zwischen den beiden Trägern getroffen, was durchaus auch mal länger dauern konnte. Mit der Gründung der ÖFG gab es klare Kompetenzzuschreibungen. – Natürlich war auch der Rückhalt in der Familie entscheidend; zwischendurch ging es mir auch gesundheitlich eher mäßig … Wichtig war für ich, die Ziele nicht aus den Augen zu verlieren. Motivierend war natürlich auch, wenn etwas umgesetzt werden konnte, aber auch die Bereitschaft aller in der ÖFG, wenn was nicht oder nicht so wie erhofft funktioniert hat, zu reflektieren und aus den gemachten Erfahrungen zu lernen.

Bitte drei bis vier der erfreulichsten Erlebnisse während Deiner Zeit als Geschäftsleitung!

In der jüngeren Vergangenheit: Als 2017 endlich der von allen Parteien unterstützte Prüfantrag im Stadtrat durchging. Leider sind die Ergebnisse nicht wie erwartet. Ich hätte mir offenere Gedanken gewünscht, was man machen kann … und nicht, dass man das Obdach immer noch braucht. – Tatsächlich ist auch mehr als erfreulich, dass sich die Leute bei uns gerne engagieren, das ist eine wirkliche Freude, so etwas mitzuerleben.
In Erinnerung bleiben mir natürlich auch die Ereignisse, als die neuen Gebäude errichtet werden konnten: der Emmi-Knauber-Hort, die SLS Abenteuerland. Beim Hort 1993 kamen noch Fragen auf: „Wie kann die Stadt so was machen? In dieser Gegend! Wird eh gleich kaputt gemacht“ Aber: Bis heute gab es keine nennenswerten Zerstörungen. Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass wenn man den Menschen Wertschätzung entgegenbringen, diese auch wieder zurückgegeben wird. – Auch die Sanierung des JUZ war eine tolle Sache. Und der Kauf der ersten Immobilie, um Raum zu schaffen! Das sind Erlebnisse, die den Erfolg zeigen, und das motiviert. – Zu nennen ist aber auch das weniger Erfreuliche … Das Programm „Soziale Stadt“ nach Ludwigshafen zu holen, war fantastisch, dass aber ausgerechnet die Bayreuther Straße und später Mundenheim-West nicht in das Programm mit aufgenommen wurden, sehe ich nach wie vor als ein Fehler an, eine verpasste Chance der Stadt die Quartiere zu entwickeln.

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Bedeutung der Kirchen in der Gesellschaft extrem gewandelt; was sollte Deiner Ansicht nach geschehen, damit eine den Werten und dem Auftrag gemäße Entwicklung geschieht?

Die Kirchen dürfen meiner Meinung nach, nicht den Fehler machen, sich aus der caritativen, diakonischen Arbeit zurückziehen, sondern müssen vor Ort bei den Menschen bleiben, in den Kindergärten, im Bereich Gesundheit, im Jugendwesen. Wir unterscheiden uns von anderen Anbietern – das müssen wir deutlich machen! Die Vielfalt erhalten und deutlicher werden, darum geht es.

Wir ersparen Dir die Frage, was Du jetzt alles vorhast; allerdings wüssten wir gerne, ob Du Deiner ÖFG in irgendeiner Form verbunden bleiben wirst …

Wenn ich aufhöre, höre ich auf. Mir Sicherheit ist mir die ÖFG nicht egal. Es wäre aber kein gutes Handeln, als graue Eminenz im Hintergrund herum zu schweben … Die neue Geschäftsführung macht sicherlich einiges anders – ich habe da gar kein Problem loszulassen. Es gibt ja auch andere Dinge als die Arbeit! Ich empfinde eine echte Vorfreude, das nächste halbe Jahr einmal nichts zu machen, nicht dauernd Termine zu haben. Das könnte in einem halben Jahr zwar anders aussehen, doch auf jeden Fall ist es jetzt gut, sich erst einmal zurückzuziehen. Dabei hat es Vorteile, dass ich nicht hier wohne …
Ich habe das alles jetzt so lange gemacht, da bleibe ich dem natürlich auch verbunden. Bestimmt werde ich weiterhin die Rheinpfalz lesen, um zu erfahren, was so los ist. Ich habe meine Arbeit gern gemacht und konnte viel gestalten. Vielleicht war das an der einen oder anderen Stelle wichtig, aber ich habe das nie so verstanden, dass ich unersetzbar wäre. Es ist kein Muss, dass ich aufhöre, sondern frei gewählt: ein guter Zeitpunkt eben.

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